
Irgendwann waren sie alle kleine Götter. Mittelmäßige Zweitligaspieler, die mal einen Pass über 30 Meter geschlagen oder einen Übersteiger fabriziert hatten. Ungelenkte Vorstopper, die versehentlich mal einen Schuss in den Winkel gedreht oder einen Ball mit der Hacke weitergeleitet hatten. Wenn man in den neunziger Jahren nicht bei drei auf den Bäumen war, klebte prompt der beliebteste Boulevard-Zusatz an einem: …-Maradona.
Vom Alpen- zum Maurergesellen-Maradona
Es gab also: einen Alpen-Maradona (Andreas Herzog), einen Bosporus-Maradona (Emre Belozoglu), einen Singapur-Maradona (Abbas Saad), einen Balkan-Maradona (Edvin Murati), einen Südkorea-Maradona (Yoo Young Park) und einen Wüsten-Maradona (Saeed Owairan). Selbst Hans-Werner Reif, der in den achtziger Jahren 14 semi-gute Spiele für den 1. FC Köln bestritt, konnte sich mit dem glorreichen Zusatz schmücken – eines Tages war er bekannt als der Maurergesellen-Maradona.
Es stimmt ein wenig traurig, dass auch Gheorghe Hagi in dieser Quatschsammlung auftaucht – als Karpaten-Maradona, was wie bei den anderen nach einer billigen Plastik-Kopie eines Superprodukts, ein Überspieler mit Augenzwinkern. Gewiss war der Rumäne nicht so erfolgreich und schillernd wie der Maradona-Maradona, aber dennoch genial und einzigartig genug, um ihn einfach so zu nennen wie er hieß: Gheorghe Hagi.
Als Steaua Bukarest 1989 zum fünften Mal hintereinander den Meistertitel gewann, ging für Hagi die bis dato beste Saison seiner jungen Karriere zu Ende. Der Mittelfeldspieler hatte sagenhafte 31 Mal getroffen, und der „Kicker“ berichtete ehrfurchtsvoll von einem Mann, den sie „schon den ›Maradona des Ostens‹ nennen“ würden. Hagi war da 23 Jahre alt und studierte nebenher BWL an der Universität in Bukarest. Mit Fußball war im Rumänien der Achtziger kein großes Geld zu verdienen.
Das wussten natürlich auch die großen Vereine aus dem Westen, und so standen sie nun Schlange beim neuen Wunderspieler aus Bukarest, doch Steaua schickte sie alle nach Hause. „Gheorghe ist uvnerkäuflich!“, hieß es immer wieder. Besonders der AC Mailand und Juventus Turin umgarnten den Spieler seinerzeit, das Höchstgebot stand bei elf Millionen Mark. Zum Vergleich: Inter Mailand hatte Lothar Matthäus ein Jahr zuvor für 8,4 Millionen Mark gekauft.
Doch Hagi blieb. Vielmehr: Er musste bleiben und stieg zum Intimus des Ceaucescu-Clans auf. Der Diktator tat alles, um dem jungen Starspieler die Verlockungen aus dem Westen madig zu machen. Einmal schenkte Valentin Ceaucesu, Sohn des Herrschers, seinem Fußballfreund einen Mercedes mit Chauffeur und eine Villa mit Swimming-Pool. Dazu gab es vom Vater einen dreiwöchigen Kairo-Urlaub. Hagi selbst nahm die Sachen, ohne das System groß zu hinterfragen. Erst viele Jahre später äußerte er sich in einem Interview in der „Sportbild“ zu jener bleiernen Ostblock-Zeit: „Bei jedem Aufenthalt im Westen bekam ich Angebote. Wie gern hätte ich mich mit den Profis im Westen gemessen, mit den Großen im Fußball. Es wäre leicht gewesen, mich abzusetzen, doch das wollte ich nicht. Ich hätte meine Familie wohl nie wiedergesehen.“
Aufbruch in den Westen
Dann kam das Jahr 1990, und auf einmal war alles anders. Die Welt stand offen, Ceaucesu war gestürzt, es roch nach Aufbruch und einem zweiten Leben. Hagi wollte nun selbst diktieren – am liebsten das Mittelfeld einer europäischen Topklubs.
Wenig später wechselte er für etwas mehr als sechs Millionen Mark zu Real Madrid, und plötzlich war er in aller Munde. Was allerdings nicht so einfach war, vor allem bei Europapokalspielen verknoteten sich die Reporter gerne die Zungen, wenn es darum ging, seinen Namen richtig auszusprechen. Einige sagten, Hagi würde sich auf „Maggi“ reimen, anderen behaupteten, sein Name spreche sich wie ein Nießgeräusch („Hadschi“). Hagi selbst musste dann verbessern: „Mein Name lautet Rrrrr-hadschi – mit rollendem R und anschließendem H.“ Was für ein Name für einen Mann, der so filigran und gefühlvoll mit dem Ball umging und mit seinem linken Fuß vermutlich auch eine Sinfonie von Bach spielen konnte.
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